Wie hat Jesus seinen Tod verstanden?

Der Tod Jesu am Kreuz war für seine Jünger/innen eine Katastrophe, wie sie schmählicher und endgültiger nicht hätte sein können. Es hatten sich ja nicht nur die Gegner durchgesetzt, die sein Auftreten als gotteslästerliche Provokation bekämpft haben; vielmehr war auch die Hilfe des Gottes ausgeblieben, dem sich Jesus so untrennbar verbunden gesehen hat. In Deuteronomium 21, 23 heißt es dann auch noch: „Von Gott verflucht ist, wer am Holz hängt“.

Ohne die Ostererfahrung ist es nicht zu erklären, dass die Jesus-Bewegung mit diesem Scheitern nicht am Ende war. Stattdessen entsteht eine Vielzahl von Deutungen, die den Versuch unternehmen, den Kreuzestod Jesu theologisch einzuordnen. Wenn Paulus den Tod Jesu als Heilsgeschehen im Sinn von „stellvertretender Sühne“, „Erlösung“ und „Stiftung des Neuen Bundes“ interpretiert, greift er dabei auf „geprägte Wendungen“ zurück, die in der urchristlichen Glaubensunterweisung und im Gottesdienst der frühen Gemeinden verwendet werden. Es bleibt dabei aber die Frage offen, welche Grundlage diese Aussagen im Hinblick auf den historischen Jesus haben.

Sicher war Jesus bereit, für seine Botschaft und im Vertrauen auf die Nähe seines Gottes den Tod auf sich zu nehmen. Die Todesprophetie: „Ich werde nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken bis zu dem Tag, an dem ich von Neuem davon trinke im Reich Gottes“ (Mk 14,15, Mt Par) stellt – wenn auch in Verbindung zur Abendmahlsfeier der nachösterlichen Gemeinde – den Zusammenhang her zu seiner Verkündigung und zu den Gastmählern Jesu, die für Sünder und Gerechte die Zukunft Gottes gegenwärtig werden ließen.

Auch die mit der Abendmahls Tradition verbundene Vorstellung vom Sterben Jesu „für euch“ beziehungsweise „für die vielen“ verweist auf Erfahrungen mit dem vorösterlichen Jesus: Sein Eintreten für die Armen und Geächteten, sein Beharren darauf, dass die Wirklichkeit Gottes alle menschlichen Maßstäbe auf den Kopf stellt, seine Überzeugung, dass Leid und Tod nicht das letzte Wort haben, befähigt ihn dazu, dem Reich Gottes noch in seiner Todesbereitschaft Geltung zu verschaffen und „für die vielen“ Zeugnis abzulegen bis zur äußersten Konsequenz.

Weniger plausibel erscheint dagegen die Annahme, Jesus habe seinen Tod als „stellvertretende Sühne“ verstanden. Beim Wort vom „Lösegeld“ (vgl. Mk 10,45 par) handelt es sich zwar um eine freie Umformung eines Jesaja-Motivs (vgl. Jes 53,11), das Markus in der palästinischen Tradition vorgefunden hat; dennoch legt eine parallele Formulierung im ersten Brief an Timotheus (1 Tim 2,6) den Schluss nahe, dass es sich dabei zwar um eine alte Tradition, aber dennoch um eine Aussage handelt, die der frühen Gemeinde zuzuordnen ist.