Die Gotteserfahrung Jesu, die er in der Rede vom „Reich Gottes“ zusammenfasst, führt schon in seiner Verkündigung zu Paradoxien, die den Blick „auf die Wirklichkeit Gottes in der Welt“ öffnen sollen. In der Perspektive der Gottesherrschaft, die „jetzt schon da“ ist, aber in ihrer Vollendung noch aussteht, werden die Dinge auf den Kopf gestellt: Die Armen und Hungernde werden „selig“ genannt, Zöllnern und Sündern wird eine größere Gottesnähe zugetraut als einer selbstgerechten Priesterschaft und wer sein Leben um jeden Preis „gewinnen“ will, steht gerade dadurch in der Gefahr, es zu verlieren.
= Wird fortgesetzt =
Das Reich Gottes ist für Jesus die Präsenz Gottes in der Welt. Weil Gott und Welt nicht voneinander getrennt sind, sondern Gott die eigentliche Wahrheit dieser Welt ist, ist seine Gegenwart ein schon jetzt wirksames „Potential“, eine „Bewegung“, die dazu führt, dass sich das Leben eines jeden Menschen verändern kann – und im letzten zielt dieGottesherrschaft auf die Vollendung der Welt bei Gott. Die Erfahrung der Gottesherrschaft nimmt diese Vollendung bereits jetzt als wirksame Realität vorweg. Das Wirken Jesu leitet dann auch dazu an, die Wirklichkeit immer deutlicher in dieser Perspektive zu sehen und das eigene Denken und Handeln danach auszurichten. Für eine Spiritualität, die sich an der Reich-Gottes-Botschaft Jesu orientiert, erscheinen mir vor allem diese Aspekte wichtig:
Die Erfahrung der Gottesherrschaft schildert Jesus in seinen Gleichnissen als ein Erlebnis, das das Leben eines Menschen von Grund auf verändert: Nichts bleibt, wie es war; erst jetzt erkennt man, wie man wirklich ist und worauf es wirklich ankommt; wie neu geschaffen stellt sich alles ganz anders und erstmals in der richtigen Ordnung dar.
Wenn Jesus vom Reich Gottes erzählt, macht er deutlich „wie Gott die Welt sieht“ und wie der Mensch von ihm gedacht wird. Und er leitet dazu an, die Wirklichkeit immer stärker in dieser Perspektive wahrzunehmen, um dadurch auch das eigene Denken und Handeln daran auszurichten. Beides steht dabei in einer Wechselwirkung: Je mehr ich darauf vertrauen kann, dass mein Leben von einem Gott getragen ist, der unbedingt zu mir steht, desto zuversichtlicher werde ich den Herausforderungen des Lebens begegnen – und in vielen Fällen erfahren, dass sich diese Zuversicht bewährt.
Eine Spiritualität, die sich an der Reich-Gottes-Botschaft Jesu orientiert, wird zu solchen Einsichten vermutlich nur schrittweise und selten in dieser Grundsätzlichkeit kommen. Und doch ist damit eine wesentliche Grundhaltung benannt, die etwa als Offenheit für eine größere Wahrheit, als Vorbehalt dem Faktischen gegenüber und als Gespür für die Vorläufigkeit dieser Realität beschrieben werden kann.