Auf die Botschaft Jesu eine „Kirche zu bauen“ ist ein gewagtes und immer gefährdetes Unternehmen. Das liegt in erster Linie daran, dass seine Botschaft zu lauter Gegensätzen führt: Sie verspricht Sicherheit aus der zugesagten Nähe Gottes und fordert dazu auf, diese Sicherheit durch Offenheit und Mut immer wieder zu riskieren; sie lebt aus dem „von Gott erfüllten Augenblick“ und leitet dazu an, sich nicht an den Augenblick zu verlieren; sie ermöglicht es, dass Menschen sich in einer neuen und befreiten Art begegnen – und dennoch muss diese neue Art der Begegnung immer wieder neu gewonnen werden und darf nie ein Zweck für sich sein …
So sicher es ist, dass die Botschaft Jesu ohne „stabile soziale Strukturen“ nicht diese starke Wirkung hätte ausüben können, so steht doch auch fest, dass das ursprüngliche Anliegen Jesu nicht selten im Lauf der Geschichte in sein Gegenteil verkehrt, bis zur Unkenntlichkeit verformt und oft nur noch in den Lebensentwürfen von Außenseitern erkennbar wurde.
Und dennoch steckt in der Botschaft Jesu die Utopie einer „befreiten Gesellschaft“ von bedingungsloser Akzeptanz, achtsamer Wertschätzung, uneingeschränkter Solidarität und einer – wenn überhaupt erforderlich – äußerst zurückhaltenden Machtausübung.
Es ist ein weiteres Paradox der Reich-Gottes-Botschaft, dass eine solche Art des Zusammenlebens nur dann möglich wäre, wenn alle Beteiligten uneingeschränkt aus dem Potential der jetzt schon gegenwärtigen Zukunft Gottes leben würden. Als verordnetes Ideal oder als um jeden Preis zu erreichendes Ziel würde sich diese Gesellschaft ins Unerträgliche wenden. Als Korrektiv aber oder als erhellender Kontrast hat dieser Entwurf eine entlarvende und im Bestfall befreiende Wirkung.