Die Kirche und das Reich Gottes

Die Botschaft Jesu gilt zuerst den einzelnen: Gerade denen, die durch die Erfahrung von Macht, Ausgrenzung und Unterdrückung den Glauben an sich und an das Recht auf ein lohnendes Leben verloren haben, wird die unbedingte Nähe und Zuwendung Gottes zugesagt. Für Jesus kann es dabei keinen Kult, keine Rituale, keine hierarchischen Zwischeninstanzen geben, die die Gnade Gottes verwalten, zuteilen oder verweigern könnten. Die ersten Jünger/innen verstehen sich daher folgerichtig als „Herausgerufene“ (= ekklesia), deren Gemeinschaft ihre Grundlage in der gemeinsame Berufung und Berechtigung hat. – Auch als sich in den frühen Gemeinden Organisations- und Leitungsstrukturen herausbilden, bleibt dieses gemeinsame Fundament zunächst im Bewusstsein.

Der Eintritt in die hellenistisch-römische Welt führt dann aber dazu, dass – zugleich mit der „Übersetzung“ des christlichen Bekenntnisses in die Begriffe griechischer Philosophie – eine Übertragung der Inhalte und Strukturen in die Sprache des römischen Rechts erfolgt. So konnten sich tiefsinnige theologische Spekulationen mit formal-juristischen Mechanismen und nicht selten auch gnadenloser Machtausübung verbinden.

In der Geschichte der Kirche bleibt – wenn auch oft nur im Verborgenen und nicht selten von den Vertretern der offiziellen Lehre verfolgt – die Botschaft Jesu vom Reich Gottes als widersetzliche und befreiende Wahrheit lebendig.


Die Reich-Gottes-Botschaft Jesu

Seit dem 19. Jahrhundert befindet sich die katholische Kirche in einem Abwehrkampf gegen die Moderne, der im Syllabus errorum von Papst Pius IX. (1864) – mit der Ablehnung von Religionsfreiheit, der Trennung von Staat und Kirche und der Verurteilung von Demokratie, Wissenschaftsfreiheit und den Ideen der Aufklärung insgesamt- seine stärkste Ausprägung erreichte. Die Erklärung der Unfehlbarkeit des Papstes (1870) steht ganz in diesem Zusammenhang. Dass zeitgleich die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Bibel und besonders mit den Schriften des Neuen Testamentes unter den Generalverdacht der Glaubenszersetzung und Kirchenfeindschaft gerieten, ist so gesehen nur folgerichtig. – Die Auswirkungen dieser rigid durchgesetzten Realitätsverweigerung sind bis heute zu spüren: Die amtliche Lehrverkündigung trägt die Last des 19. Jahrhunderts als Hemmnis und – je nach Standpunkt – unantastbare Ausrede mit sich herum. Und den „Gläubigen“ wurde aus „Rücksicht“, Bequemlichkeit und zur Sicherung des „Herrschaftswissens“ die Tatsache vorenthalten, dass es Jesus nicht um die „Stiftung einer Kirche“, nicht um die Begründung des Kirchenrechts und die Anleitung für liturgische Zeremonien ging, sondern um eine befreite Humanität, die in Gott ihren Rückhalt findet.

Gerade die Rückfrage nach dem historischen Jesus und die Orientierung an seiner Botschaft von der befreienden „Königsherrschaft Gottes“ bietet die Chance, den ursprünglichen „jesuanischen Impuls“ wieder zu entdecken und ihn für den eigenen Glauben neu zu interpretieren. Für die Kirche/n bedeutet dies, dass sie sich nicht einfach als Sachwalter der Botschaft Jesu postulieren kann, sondern das sie dies nur in dem Umfang ist, in dem sie hinter der Verkündigung der Basileia zurücktritt.