Für die historische Betrachtung ist es eindeutig, dass Jesus keine „neue Religion“ gründen wollte. Der Glaube Israels ist für Jesus das unverbrüchliche Fundament seiner Gotteserfahrung und seiner Verkündigung. Von daher zielt seine Botschaft in erster Linie darauf, seine Glaubens- und Zeitgenossen zu einer Lebenshaltung hinzuführen, die damit ernst macht, dass Gottes Heilsangebot ohne Einschränkungen und Vorbedingungen jetzt und hier gilt. Die Radikalität, mit der Jesus den Heilswillen Gottes über Gesetze, Gewohnheiten und religiöse Leistungen stellt, legt es nahe, dass er die Bedeutung seiner Verkündigung nicht auf das Volk Israel einschränken wollte. Und obwohl die Berufung der „Zwölf“ die Absicht erkennen lässt, sie als Repräsentanten der zwölf Stämme Israels zum Zeichen einer Erneuerung des biblischen Gottesvolkes zu machen, ist die Öffnung für die „Heidenvölker“ eine direkte Folge der von Jesus ausgelösten Dynamik (und ist als Vision etwa auch bei Jesaja 2,3 zu finden).
War zu Lebzeiten Jesu die Gruppe seiner Anhänger/innen ohne feste Organisation, mit Mitgliedern, die zum engeren oder weiteren Kreis gehörten, offen für Sympathisanten, die sich spontan der Bewegung anschlossen und sie vermutlich auch wieder verließen, so zeigen sich schon bei den Trägern der Q-Überlieferung und in der Jerusalemer „Ur-Gemeinde“ deutliche Strukturen. Als „Kirchengründung“ wird dabei weniger die „Einsetzung“ des Petrus zu gelten haben (die sich eher der Tatsache verdankt, dass in der Gemeinde des Matthäus die markante Persönlichkeit des Petrus – in Angleichung an jüdische Gepflogenheiten – als Garant und Autorität der Tradition gebraucht wird), sondern viel mehr das sog. „Apostelkonzil“, von dem Paulus im Galaterbrief berichtet: In der Auseinandersetzung um die Inhalte seiner Heiden-Mission handelt Paulus hier mit der Jerusalemer Gemeinde Zuständigkeiten und Kompetenzen aus, verteidigt seine Eigenständigkeit und erzielt eine Einigung im Hinblick auf differenzierte Grundlinien (vgl. Gal 2,1-10). Erstmals werden hier Strukturen sichtbar, die über die Botschaft Jesu hinaus Inhalte festlegen, Regelungen treffen und Autoritäten definieren.