Jesus und die Christologie

Die Frage, wer Jesus ist und mit welchem Recht er für seine Botschaft die Autorität Gottes in Anspruch nimmt, hat sein Wirken von Anfang an begleitet. Neben den Verdächtigungen der Gegner (so z.B. „er ist von einem bösen Geist besessen“ – vgl. Mt 3, 30 par) steht u.a. die Vermutung, er wäre der wiedergekommene Elija, Jeremia oder ein anderer Prophet (vgl. Mt 16, 14 par).

Immer sind es Erfahrungen mit Jesus und seiner Verkündigung, die dazu nötigen, Partei zu ergreifen. Und auf der Suche nach sprachlichen Formen, die dem eigenen Erleben entsprechen, wird nachösterlich auf Deutungsmuster zurückgegriffen, die aus der religiösen Tradition Israels und der benachbarten Kulturen stammen. Die Hoheitstitel „Christus“, „Menschensohn“, „Sohn Gottes“, der „erhöhte Herr“ bezeugen Erfahrungen, die Menschen mit Jesus und mit dem Gott gemacht haben, den Jesus bezeugt. Daher formulieren auch die ersten schriftlichen Zeugnisse das Ostergeschehen als eine Gotteserfahrung: So wie im Alten Testament Gotteserfahrungen mit der Formel „Gott hat sich sehen lassen“ umschrieben werden, so werden die Erfahrungen geschildert, die Jesus als den erweisen, der von Gott erhöht und beglaubigt wurde.

Aber schon bei Paulus deutet sich eine weitere Funktion solcher Hoheitstitel an. Wenn er im Vorspruch des Römerbriefs die messianische Argumentation („dem Fleisch nach geboren … als Nachkomme Davids“) mit der „Einsetzungschristologie“ („dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt … als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten“) und dem Titel des „erhöhten Herrn“ (vgl. Röm 1,3ff) verbindet, so geht es ihm auch darum, einen möglichst großen Konsens zwischen unterschiedlichen Richtungen herzustellen.

Aus den Versuchen, Glaubenserfahrungen zu umschreiben, werden theologische Formeln, die zwar immer noch den Glauben bezeugen, die aber Jesus und seine Botschaft zu einem System von Begriffen machen. Und dieses System steht in der Gefahr, sich von der ursprünglichen Erfahrung von Gottes heilender Nähe immer weiter zu entfernen.